Autor: Siegfried Peosker-

Von den Liebhabern der spanisch beeinflussten Reitweise wird das Wort „Jinete“ ehrfürchtig ausgesprochen, so, als wäre das, was dahintersteht, mit dem „Heiligen Gral“ vergleichbar.
So nennt man einen Reiter, der spielerisch seine Meisterklasse zeigt.
So nennt man auch ein hervorragendes spanischblütiges Pferd.
Das genügt aber noch nicht: Beide sollen „tanzen“ können, mit einem Gegner, einem anderen Reiter vielleicht, einem Stier oder an der Herde.

(Meine Empfehlung dazu: Google, Suchbegriff „Rejoneo Merlin“ und dann den Youtube Clip „Muestras de Rejoneo“ anwählen. Die meisten von uns lehnen den Stierkampf ab. Das ist auch in Ordnung und es ist eine Frage der Zeit, wann sich auch die Spanier dazu entschließen werden, ihn zu verbieten. Danach allerdings wird es Bilder von tanzenden Pferden wie „Merlin“ nicht mehr geben.)

Barockreiter, Reiter des wirklich klassischen Stils, Vertreter der Doma Vaquera, auch solche, die beim Westernreiten imstande sind, den spanischen Stil vom anglotexanischen abzugrenzen, benutzen das Wort „Jinete“ mit Respekt.

Kaum jemand weiß jedoch, dass die Wurzeln des Begriffs bei der Reitweise der Hunnen, der Mongolen und der Mauren zu suchen sind.
Und dass die Kunst des z.B. Rejoneo (Stierkampf zu Pferde, „toreo a la jinete“) nichts zu tun hat mit dem Offenen Sitz „a la jineta“ der asiatischen Steppenvölker: Die saßen (sitzen) auf Trachtensätteln hoch über dem Pferd und zwar mit kurz geschnallten Steigbügeln, wie der mongolische Reiter auf dem Bild.

 

Foto Dr. Rolf Peter Lacher

Es gibt diverse andere Deutungen des Begriffs jinete oder gineta:

In Mexiko nennt man „jinete“ einen Rodeoreiter. Z.B. so einen, der auf einem buckelnden Stier reitet, was ja wenig mit der Eleganz und Brillanz eines Reitmeisters zu tun hat. Gustavo Morales malte 1915 ein solches Bild und nannte es „Jineteando“, also eine Veranstaltung mit „jineten“

Hemingway („Tod am Nachmittag“) erklärt als „Gineten“ den unbeliebten Reiter auf dem gepanzerten Pferd, den Picador, der mit der Lanze den Stier schwächen und seine Rechts- oder Linkslastigkeit ausgleichen soll.
Der bewegt aber sein (oft minderwertiges) Pferd während der wenigen Minuten seines Auftritts im Stierkampf (zu Fuß, also Corrida, nicht Rejoneo) so gut wie gar nicht.

Das Gestüt „Alqueria“ in der Nähe von Malaga stellt sich unter dem Namen „jinete“ im Internet vor und bietet hochwertige spanische Pferde zum Verkauf.

Das internationale Wapedia beschreibt „jinete“ (auch Genitour) als rein militärisches Wort: Für die leichte Kavallerie, die im Mittelalter auf spanischer Seite bei der Wiedereroberung Spaniens kämpfte, aber auch in den italienischen Kriegen nach 1495 dabei war. Dabei bestand die Hälfte der Reitertruppen aus jineten. Es wird in Wapedia zwar erwähnt, dass das Wort einen berberischen Ursprung hat, aber Hinweise auf Trachtensättel, kurze Steigbügel oder Stierkampf fehlen.

Sadko G. Solinski, Autor des vorzüglichen Sachbuches „Reiter, Reiten, Reiterei“ beschreibt die Wiege der iberischen Reitweise so:
An der Mündung des Guadalquiviers wurden zu biblischen Zeiten die wilden Auerochsen vom Pferd aus gejagt und erlegt. Mit der so trainierten Technik wurden später die Phönizier bekämpft.
„Aus dem Stierkampf wurde der sogenannte Gineta Kampf,“ schreibt er.

Das Wort Jinete bzw. Gineta entstand aber erst im Mittelalter!

Warum reiten Jinetemeister wie Pablo el Hermoso heute auf seinem „Merlin“nicht mehr mit kurzen Steigbügeln „a la jineta“?

Der Verfasser dieses Artikels wird versuchen,
Klarheit in das Durcheinander zu bringen.

Solinski hat Recht, was die Brillianz der Reitweise angeht.
Auch darin, dass die Iberer ihre Geschicklichkeit zu Pferde dem Training und dem Kampf mit den Stieren verdanken.
Das Wort jinete oder Gineta gab es damals aber noch nicht. Es entstand erst im Mittelalter und sein Ursprung ist maurisch (berberisch-arabisch).

Auch die Ausrüstung und die Reitweise des antiken iberischen Jägers entsprach nicht derjenigen der maurischen Zeneten, die viel später nach Spanien eindrangen. Die Iberer ritten ohne Sattel oder nur mit einfachen Kissen und sie kannten weder Steigbügel, noch scharfe Gebisse.

Die maurischen Zeneten jedoch (ab 711 n. Chr.) kannten bereits den Trachtensattel und sie ritten mit kurzen Steigbügeln „a la jineta“.

Das bestätigt Donald Chavez y Gilbert („Origins of the first American Cowboys“ Chp.6 “The role of the saddle”)
“The Moslem cavalrymen rode a la jineta, with very short stirrups”,
also mit sehr kurzen Steigbügeln.

Unter der Abbildung eines Maurensattels steht: “ La Jineta, Moslem Cavalrymen Saddle.“

„Jinete“ als spanisches Wort ist eine Verballhornung für den Namen des Berberstammes der „Zeneten“ (oder Zenethen).
Die haben während der Eroberung und Besetzung Spaniens (711 bis 1492) eine Rolle gespielt, weil unter den maurischen Truppen verhältnismäßig viele Soldaten dieses Berberstammes auf der iberischen Halbinsel stationiert waren.

Zum Satteltyp: Die aus den Steppen Asiens stammenden Trachtensättel zeigen, im Gegensatz zu Kissensätteln, zwei hölzerne Längsträger auf dem Rücken des Pferdes. Die verlaufen parallel zur Wirbelsäule und schützen diese.
Die Hunnen benutzten sie schon. Später (und heute immer noch) die Mongolen. Mit den Arabern kamen sie nach Nordafrika und mit den Mauren (Berbern) nach Spanien.
Immer wenn diese Völker in Europa eindrangen, saßen die Reiter auf Sätteln mit festem Baum (hoch über dem Pferd) und sie ritten mit kurzen Bügeln „a la jineta“. Die Reiter Europas begegneten ihnen im Kampf auf Kissensätteln (ohne Trachten) Ihre Beine waren lang gestreckt. Dieser Reitsitz heißt „a la brida“.

Quelle: Gueriniere, „Ecole de Cavalery“

Das Heer des damaligen Herrschers der iberischen Halbinsel (das war der Westgotenkönig Roderich) wurde besiegt, obwohl es zahlenmäßig weit überlegen war. Seine gepanzerten Reiter auf schweren Pferden waren den leichtbewaffneten Kämpfern mit dem Krummschwert und deren beweglichen Pferden nicht gewachsen.

Die moslemischen Mauren besetzten fast ganz Spanien und sogar Teile Frankreichs und verbreiteten ihre Kultur 700 Jahre lang. Sie brachten die indisch- arabischen Ziffern nach Europa, die wir heute noch benutzen.
Sie gründeten die ersten Bildungszentren, z. B in Cordoba, wo Philosophie, Recht, Medizin, Chemie, Mathematik, Physik und Astronomie gelehrt wurden.
Um nur zwei Beispiele zu nennen:

1.) In Europa war es verboten, den Körper Verstorbener zu öffnen, um daran medizinische Studien zu betreiben. Dagegen brachten die Mediziner der Mauren, quasi im Handgepäck, detaillierte Zeichnungen mit, in denen jede Einzelheit des menschlichen Körpers betrachtet werden konnte. Sie waren natürlich auch in der Lage, chirurgische Eingriffe vorzunehmen.

2.) Ohne das arabische Wissen um die Astronomie hätte sich Columbus niemals auf den Weg über den Atlantik in die Neue Welt gewagt.
Ironie der Geschichte: die gleichen Könige („Los Reyes Catolicos“ Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon) die Columbus auf den Weg schickten, vertrieben die letzten Mauren aus Granada…

Die neuen arabisch sprechenden Herrscher praktizierten religiöse Toleranz, so dass Moslems, Juden und Christen gemeinsam leben konnten. So etwas hatte es vorher nie gegeben!

In der Geschichte der Menschheit ereigneten sich unendlich viele Kriege und Eroberungen. Bis auf wenige Ausnahmen haben die Besiegten (hier die Iberer) die Sitten und Gebräuche, die Mode und Teile der Sprache der Sieger übernommen. So haben die Spanier letztendlich auch die Reitweise „a la jineta“ der Mauren adoptiert und sie gefielen sich darin, mit extrem kurzen Steigbügeln zu reiten.

Warum sollten spanische Adelige nicht so reiten können wie der arabische Adel? Die Besiegten orientierten sich an der Mode der Sieger.
Im Stierkampf funktionierte der neue Sitz ebenso gut, wie „a la brida“.

Bald rangierten im Land zwei Reitstile nebeneinander: „a la jineta“ und „a la brida“.

In den Jahrhunderten der Reconquista, der Wiedereroberungskriege der Spanier gegen die Moslems, glänzten die spanischen Ritter mit ihrer Kampftechnik, die inzwischen mit dem spanischen Wort „jineta“ benannt wurde. Sie waren besser als ihre Gegner, weil der Ursprung ihrer Reiterei in der Erfahrung mit den Stieren in freier Wildbahn lag und weil ihre Geschicklichkeit und die ihrer Pferde während der Stierkämpfe auf den Gütern des spanischen Adels immer wieder verbessert wurde. Die typische gefürchtete Waffe war die kurze Lanze, die einhändig oder auch zweihändig von oben herab eingesetzt wurde und jeden Panzer durchschlug..

 

Diese todbringende Überlegenheit der spanischen Ritter wurde von den maurischen Besatzern gefürchtet und in Geschichten und Legenden der Nachwelt überliefert. (Siehe Solinskis „Reiter, Reiten, Reiterei“ Seite 30: Der maurische Chronist Abu Bakr al Turtusis berichtet über Vorfälle im 11ten Jahrhundert).

Nur die einfachen Peones und Vaqueros verblieben (zum Glück) bei ihrer vertrauten Reitweise „a la brida“. Ein unberechenbares Jungpferd mit hochgeschnallten Steigbügeln und mit dem „Offenen Sitz“ (die Definition ist von Steinbrecht) ohne Knieschluss einzureiten, ist ein mehr als schwieriges, wenn nicht unmögliches Unterfangen.

Curd Johnson schreibt in einem Aufsatz („Lanza Gineta, Spanish Light Cavalry of the Early Italian Wars“)
“The jinetes were consummate horsemen who rode sprightly bob-tailed horses, jockey style, that is, using very short stirrups. Bayard’s Loyal Serviteur, 129ff., described this as riding à la geneta, „that is to say…as do the Moors.“
(Das waren also hervorragende Reiter, die ihre Pferde wie Jockeys ritten, mit sehr kurzen Steigbügeln…so wie die Mauren, „a la geneta“.)

Bemerkenswert ist, dass zur Zeit der Besatzung in Spanien Moslems und Christen miteinander konkurrierend sich gegenseitig beobachteten, dass sie dadurch voneinander lernten. Dass sie sich auch austauschten, denn wenn sie nicht an der permanent wandernden Grenze im Krieg miteinander lagen, dann luden sie sich gegenseitig ein und veranstalteten Reiterspiele. So entstand das, was Arnold Rojas in seinem Buch („These were the Vaqueros“) beschrieb:
„…the Arabic-Iberian school of horsemanship called la jinete”

1492 wurde das letzte maurische Heer vor Granada geschlagen.

In den darauf folgenden 200 Jahren fanden in Europa zwei große Veränderungen statt, die die Pferdewelt und das Reitwesen von Grund auf erneuern sollten:

1.) Die Veredelung der europäische Rassen durch die Berberpferde.
2.) Die Gründung erster Reitakademien.

Zu 1.)
Die Mauren hinterließen der Welt ein wertvolles Erbe:
Das etwas kleinere Berberpferd veredelte die spanischen Rassen und damit später fast alle anderen europäischen Rassen.
Leichte Pferde mit kurzen Rücken, die sich zum „Tanzen“ und zum Repräsentieren eigneten, weil sie beweglich und gelehrig waren, gut zu dressieren und darüber hinaus noch schön anzuschauen. Kaiser, Könige und Adelige in ganz Europa rissen sich im 16 ten und 17ten Jahrhundert um diese Pferde. Genannt wurden sie „Geneten“ (Jineten).

Berber veredelten die Lipizzaner, Frederiksborger, Oldenburger, Holsteiner, Friesen, Kladruber, Orlowtraber. Über die spanischen Andalusier beeinflussten sie auch die gesamten amerikanischen Pferde, Mustangs, Quarterhorses, Criollos usw.

Sogar die englischen Vollblutgalopper beziehen sich auf einen Urahn. Godolphin wurde von Tunis an den französischen König verschenkt (Ludwig XV). Dann gelangte er nach England und wurde Stammvater der englischen Vollblutzüchtung. Nur noch zwei weitere Beispiele:
– Pluvinel war in Paris Reitlehrer von Ludwig XIII. Dessen Schulpferd war ein brauner Berber, den Meister Pluvinel über die Maßen lobte.
– Napoleons Lieblingspferd war der „Barbe“ „Aly“

Zu 2.)
Wer weiß denn heute noch, dass Süditalien (das Königreich Neapel) und Sizilien mehr als 300 Jahre lang von den Spaniern beherrscht wurde? Das war aber die Ursache für das Entstehen der großen europäischen Reitakademien. Die spanischen Jinetesoldaten ritten in Neapel auf ihren leichtfüßigen Geneten und wurden mit Ehrfurcht und Begeisterung betrachtet. Wer kennt ihn nicht, den Wunsch: „So möchte ich auch reiten können,“
„so ein Pferd möchte ich auch besitzen…“

Italiener drängten sich darum, die Arbeit in den Ställen der Spanier zu verrichten, nur um denen beim Reiten zuschauen zu dürfen oder um eine Reitstunde zu bekommen.

Ein Adeliger, Federigo Grisone gründete die „Neapolitanische Schule“, die so bekannt wurde, dass auch ausländische Adelige dort lernen wollten, um das Kriegshandwerk zu Pferde zu erlernen. Der Franzose Antonio de Pluvinel besuchte die Akademie von Neapel schon als 11 jähriger und gründete später in Paris selbst eine Reitschule. Er wurde der Lehrer von drei französischen Königen in Folge.

Robichon de la Gueriniere, der größte und vorläufig letzte von etlichen großen Reitmeistern dieser Zeit , schrieb 1733 sein Werk „Ecole de Cavalery“, das heute noch Gültigkeit hat und das für die nächsten 100 Jahre den französisch klassischen Reitstil begründete. Zum ersten Mal ist von „Freude an der Kunst des Reitens“ die Rede, man spricht über die Gymnastisierung der Pferde. Diese Art, Pferde auszubilden und zu bewegen, wurde Mode an den Schlössern der europäischen Könige und Adligen.
Der Nachwuchs lernte reiten oft eher als lesen und schreiben…
Spanische Mönche und Soldaten (und das waren überwiegend Adelige, brachten die Mode nach Kalifornien und setzen Maßstäbe für die Reitweise der Vaqueros, die 50 bis 100 Jahre später, die Lehrer der Cowboys werden sollten.

Zurück zu unserem Thema „Jinete“.
Alle diese Reitmeister lehrten den Sitz „a la brida“ mit gestreckten Beinen. „A la jineta“ wurde in Europa vergessen, …..so ist das mit der Mode….

Gueriniere begründet aber auch die Vorteile des Sitzens mit gestrecktem Bein (a la brida).
Auf seiner Seite 150 (Olms Verlag, Übersetzung von Daniel Knöll 1817) schreibt er: „Was die Schenkel (er meint die Waden), als die unteren beweglichen Theile anbelangt, so dienen solche, den Leib und die Hinterhand des Pferdes zu führen und in Gehorsam zu erhalten. Ihre wahre Stellung ist, dass sie von dem Knie bis nach unten gerade und ungezwungen gehalten werden, dass sie nahe am Pferd liegen, ohne es jedoch zu berühren, und die Dickbeine – nebst den Knien – herum und nach innen gewendet werden, damit der flache Theil des Schenkels…gleichsam wie angeleimt sey………“

Die Begriff „Jinete“ für einen Meister der spanischen Reitweise ist geblieben. Die reiten aber heute wieder „a la brida“ wie wir bei Pablo el Hermoso auf seinem Pferd „Merlin“ gesehen haben.

Darüber hinaus hat das Wort im Ausland (z.B. in Lateinamerika) an Bedeutung verloren. Die sagen zu jedem Raureiter „jinete“.

Oder es wird sogar als Firmenlogo benutzt, ohne dass die Inhaber jemals etwas über den Hintergrund gehört haben, in dem Hunnen und Mongolen eine Rolle gespielt haben.

Zeneten, Berberstamm
la jineta, die spanische Reitkunst
el jinete, der Reiter, das Pferd
Gineta Reiterkampf
Geneten- Sitz
Gineta- Stange
Genitour (militärisch)
Jennet (im Mittelalter „ein leichtes Pferd“)

Siegfried Peisker: Was ist „Jinete“?