Jean-Claude Dysli – Philosophie-Reitweise

BALANCE – FEELING – TIMING

Diese 3 Begriffe, die Trilogie in meiner zu Gunsten der Pferde entwickelten Philosophie, sind dem unendlichen Wissen meines leider verstorbenen Mentors Tom Dorrance entnommen, der mir zu Lebzeiten damit den Weg zu den Pferden eröffnet hat. Ohne ihn wäre mein Lebensweg wohl ein anderer geworden. Seit nun bald 4 Jahrzehnten bin ich neben meiner Hauptbeschäftigung als Ausbilder von Pferden damit konfrontiert, auch Reitkurse und Unterricht im Reiten zu geben. Dabei durfte ich feststellen, dass es keinen markanten Unterschied in allen Reitweisen gibt, da das Pferd mit seiner Anatomie und Biomechanik für alle reiterlichen Aktivitäten sich unverändert präsentiert und für all gleich anzusprechen ist. Einzig die so oft missverstandene Kommunikation mit Pferden hat sich in den vergangenen Jahrzehnten durch den sportlichen Einsatz der Pferde nicht verbessert. Der Zugang zu dieser wunderbaren Kreatur Pferd ist nicht in dem Masse gefunden worden, wie rapide die kommerzielle Verwendung dieser Tiere gestiegen ist. Somit möchte ich vor allem auch diejenigen erreichen, die sich nicht ein fertig ausgebildetes Pferd gekauft haben, sondern den Weg der Ausbildung wählen und ein Ziel vor sich haben. Hiezu, um mit Erfolg bestehen zu können, sollen diese 3 praxisbezogenen Begriffe Balance  –  Feeling  – Timing“ die unabdingbar jeglicher  Reiterei zu Grunde gelegt werden können,  Ihren Erfolg sichern.

BALANCE

Pferde haben ein enormes Gleichgewichtssystem, das ihnen hilft, auf der Flucht vor Agressoren nicht zu stürzen. Wenn wir die reiterlichen Hilfen betrachten, so spielt gerade die Gewichtshilfe, neben Zügel- und Schenkelhilfe, die oft entscheidendste Einwirkung auf Pferden, insbesondere dann wenn die Zügelhilfe durch den losen Zügel der Westernreiterei fast völlig weg fällt. Andererseits wird diese übers Gleichgewichtsempfinden des Reiters übertragene Einwirkung aufs Pferd von diesem gerne empfangen. Ist es doch mit keinerlei Zwang oder auch Schmerz verbunden! Diese subtile Einwirkung auf Pferde verlangt vom Reiter wiederum ein ausgesprochen gutes Gleichgewichtsempfinden, oder auch Balance. Jeder Mensch besitzt durch seinen Aufrechtgang die besten Voraussetzungen hiezu und kann sich diese ausbauen und verfeinern. Ein voll ausgebildetes Westernpferd lässt sich praktisch nur noch über die Balance reiten.

FEELING

Man kann im Umgang mit Pferden alles kaufen, auch die Methoden ihn zu reiten, aber das hiezu notwendige Gefühl ist nirgendswo in einem Regal zu finden. Hier geht es um die physische Einwirkung der Standardhilfen von Zügel und Schenkel. Es leuchtet wohl jedem ein, dass die Grenze zwischen subtiler Einwirkung und Schmerz ziemlich verwischt und oft schwer zu finden ist. Bleibt man „am Zügel hängen“, mit anderen Worten „hält man sich am Zügel fest“ oder zieht man einfach übermässig am Zügel, so wird das Pferd vom Schmerz geplagt. Dass es sich nun wehrt, versteht sich von selbst und es geschieht dabei ein Phänomen, das ich einfach „Ablenkung“ nenne. Durch den Schmerz wird das Pferd in erster Linie danach trachten, diesen weg zu bekommen und sicherlich nicht der Einwirkung Folge leisten, welche der Reiter damit im Sinne hatte. Im Endeffekt gibt damit ein Pferd nicht nach und gewinnt damit diese Aktion gegenüber dem Reiter. Je öfter das Pferd „gewinnt“, umso schlechter wird seine Ausbildung. Die Aktionen, welche über den Schenkel am Pferd ankommen, können in fast gleicher Weise wie der Zügel angesprochen werden. Damit ist klar ersichtlich  –  und ganz besonders im Hinblick der enormen und so verschiedenen Sensibilitäten von Pferden im Maul und an den Seiten  –   dass der Abgabe physischer Einwirkungen eine grosse Bedeutung zuzumessen ist. Ganz schlimm ergibt es sich, wenn der unerfahrene Reiter seine Einwirkungen nicht kontrollieren kann. Und auch hier gilt: je besser ein Pferd ausgebildet ist, je feiner lässte es sich reiten !

TIMING

Dieser Teil im Umgang mit Pferden wird oft nicht verstanden. Aber es ist genau der Teil, der die Disziplin eines Pferdes enorm fördern kann. Damit man das Timing überhaupt vom Prinzip her versteht, sei hier folgendes Beispiel erwähnt: Ein Westernreiter versucht sein Pferd auf der Hinterhand zu drehen oder nur zu wenden und gibt jedoch die völlig falschen Hilfen. Das Pferd dreht nun nicht wie vorgesehen. Verärgert greift der Reiter zur Peitsche! Zwischen der falschen Drehung und der Aktion mit der Peitsche ist eine geraume Zeit verstrichen, zumindest mehr als 0,3 Sekunden, Reaktionszeit eines Pferdes. Da ein Pferd nicht wirklich weiss, was Gut und Böse, Richtig und Falsch ist, wird es kaum die Einwirkung der Peitsche verstehen, die zeitlich viel zu spät eingesetzt wurde, gemessen an der Drehung. Die Folge ist ein verängstlgtes Pferd, wann immer „gedreht“ werden soll. Timing ist nun wirklich punktgenau in die Handlungen des Pferdes eingreifen, sodass es die Aktion des Reiters mit seiner Handlung assoziieren kann. Und sei es nur eine Streicheleinheit im richtigen Zeitpunkt. Da Pferde untereinander in dieser kurzen, direkten Zeitspanne kommunizieren, ist es für den Reiter unerlässlich, sich ebenfalls in dieses Schema einzureihen. Dann wird der Mensch als Herdentier anerkannt, dem man sich gerne angliedert und die Disziplin, auch in gegenseitiger Hinsicht, wird dadurch um ein Vielfaches besser.

Jean-Claude Dysli